Jeden Samstag kniete er nieder, reinigte den Marmor mit einem weichen Tuch, arrangierte die Lilien und setzte sich auf eine nahegelegene Bank.
“Hallo Mädels”, murmelte er. “Papa ist da.”
Das Telefonieren war für ihn zum Rettungsanker geworden. Er sprach über das Wetter, über Momente, die er gern noch einmal erleben wollte, über Erinnerungen, die ihn quälten. Er redete, weil die Stille noch schmerzhafter war.
Eine zerbrochene Familie.
Bevor das Leben zur Last wurde, war alles voller Lachen und Träume. Ava und Lily, eineiige Zwillinge mit strahlenden Augen und identischen Locken, waren der Mittelpunkt von Michaels Welt. Seine Ehe jedoch hatte sich mit der Zeit verschlechtert. Streitigkeiten entzweiten die Familie, und schließlich ließen sich Michael und seine Frau Hannah scheiden.
Sie und ihre Töchter verließen ihr komfortables Haus in Scottsdale und zogen in eine kleine Mietwohnung am Stadtrand von Albuquerque, angeblich um mehr Ruhe zu finden. Michael war nicht überzeugt, aber solange er seine Töchter jede Woche sehen konnte, stimmte er zu.
Alles änderte sich eines Nachts, als er einen Anruf erhielt, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass sich auf der Autobahn ein schwerwiegender Vorfall ereignet hatte und dass die Behörden davon ausgingen, dass Hannah und die Kinder daran beteiligt waren.
Man fand Dokumente und persönliche Gegenstände, doch nichts, was Aufschluss über die Situation gab. Schockiert, überwältigt und unfähig zu begreifen, was er hörte, akzeptierte Michael den offiziellen Bericht und seine verheerenden Schlussfolgerungen.
In seiner Trauer organisierte er eine so prunkvolle und blumenreiche Gedenkfeier, dass sie fast unwirklich wirkte. Er war zutiefst untröstlich und überzeugt, die Stimmen seiner Töchter nie wieder zu hören.
Doch zwei Jahre später änderte sich alles.
Das kleine Mädchen neben den Marmorgrabsteinen.
An einem ruhigen Samstag, als Michael vorsichtig den Staub von den Grabsteinen wischte, flüsterte eine leise Stimme hinter ihm.
“Entschuldigen Sie bitte, Sir?”
Er drehte sich um, zunächst verärgert. Da stand ein kleines Mädchen – dünn, mit abgetragenen Schuhen und einer nervösen, reumütigen Haltung.
„Was ist es?“, fragte er.
Sie schluckte schwer. „Es geht um… diese Mädchen.“
Michael runzelte die Stirn. „Und die anderen?“
„Sie sind nicht hier“, sagte sie leise. „Sie wohnen in meiner Straße.“
Einen Moment lang schien die Welt unglaublich still zu sein.
„Was hast du gesagt?“ Die Worte blieben ihm im Hals stecken.
Sie zeigte auf die Namen. „Ich kenne diese Namen. Eine Dame ruft immer wieder an und erzählt von zwei Mädchen, die genauso aussehen wie die, die auf diesen Steinen eingraviert sind. Sie wohnen in einem kleinen blauen Haus. Ich sehe sie ständig.“
Michaels Herz schlug so schnell, dass er es hören konnte.
„Erfinden Sie das alles?“, fragte er mit angespannter Stimme.
„Nein, Sir“, murmelte sie, Tränen traten ihr in die Augen. „Meine Mutter ist krank. Ich wünsche mir nichts weiter als ein wenig Hilfe für sie. Ich lüge nicht.“
Er wäre beinahe gegangen. Beinahe. Doch in seinen Augen spiegelte sich deutlich Aufrichtigkeit.
„Wie viele brauchen Sie?“, fragte er sanft.
„Zwanzig Dollar“, murmelte sie.
Er gab ihr hundert Dollar. „Zeig mir, wo sie wohnen. Wenn du die Wahrheit sagst, gebe ich dir viel mehr.“
„Du wirst schon sehen“, sagte sie.
Das kleine blaue Haus.
Michael folgte seinen Anweisungen und fuhr durch die Stadt. Mit jedem Kilometer wurde sein Atem kürzer. Schließlich hielten sie vor einem heruntergekommenen blauen Haus, dessen Farbe abblätterte und dessen Garten mit altem Spielzeug übersät war.
Der Rest befindet sich auf der nächsten Seite.